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In Völklingen oberflächliche Verklärung der Familie Röchling


Prof. Hans Walter Herrmann: Hermann Röchling ist ein problematischer Namensgeber


Günter Danninger erlebte als Kind das Grauen auf den Röchlingwerken



Hubert Kesternich: viele bedenkliche Erinnerungsorte

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Bericht in der Saarbrücker Zeitung vom 16.7.2010
als PDF-Download (300 KB)

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Siehe auch Broschüre "Wegweiser durch das andere Völklingen und den Warndt" unter
Publikationen

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Stadtratsprotokoll über Umbenennung der Bouser Höhe in die Hermann-Röchling-Höhe von 1956
als PDF-Download (765 KB)

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Nachbericht von der Veranstaltung vom 29. Juni 2010:

Wie erinnern in Völklingen?
BürgerInnen von Völklingen stellen sich der Stadtgeschichte


Für den Moderator der Tagung „Wie erinnern in Völklingen?“ Lothar Schnitzler, MdL (Die Linke) steht außer Frage, dass ein Stadt-Geschichtsbild kritisch aufgearbeitet gehört. Dies gelte vor allem für die Zeit der NS-Diktatur, die in Völklingen deutliche Spuren hinterlassen habe. Für Schnitzler als „Nicht-Völklinger“ sind diese „braunen Flecken“ im Stadtbild unübersehbar und harren der Aufarbeitung. Solch eine „Geschichtsarbeit“ zu leisten, befriedige schließlich nicht nur die menschliche Neugier, sondern hätte für die Völklinger Bürger handfeste Vorteile: Viele Besucher des Weltkulturerbes sind sozialgeschichtlich interessiert, fänden aber nur eine oberflächliche Verklärung der Familiendynastie Röchling vor. Eine verbesserte Erinnerungskultur sei ein Weg, stärker vom Industrietourismus profitieren zu können.

Der Industrielle Hermann Röchling (1872–1955) ist für Prof. Hans Walter Herrmann, Riegelsberg, ein sehr problematischer Namensgeber, in dessen Persönlichkeit es „Licht und Schatten“ gebe. Dies belegt sein Lebensweg.
Denn Hermann Röchling beschränkte sich nicht nur auf Technik und Unternehmertum, sondern war auch politisch aktiv. Als genialer Techniker entwickelte er weltweit neuartige Stahlveredelungsverfahren, fand aber als Nationalkonservativer Anfang der 30er Jahre Zugang zu Adolf Hitler und dessen NSDAP. Der ihm später verliehene Titel „Wehrwirtschaftsführer“ war alles andere als „Schmuck“, sondern Ausdruck seiner Bedeutung als Rüstungsfabrikant zur Vorbereitung und Durchführung des 2. Weltkrieges
Der Volksmund schreibe Hermann Röchling zudem Sozialleistungen zu, die dieser so nie veranlasst haben kann. „Sozialleistungen“ gab es nämlich schon unter dessen Vater Karl Röchling. Als Hermann Röchling 1901 die technische Direktion übernahm, konnte er kaum die treibende Kraft für den Bau von Schlafhaus, Schwimmbad, Krankenhaus (bis 1898 bis 1908) u. a. gewesen sein. Die Familie Röchling scheute sich nie „Sozialleistungen“ mit Eigennutz zu kombinieren, um auf solchen Wegen „zufriedene Arbeiter“ an sich und das Hüttenwerk zu binden.
Die Umbenennung des Stadtteils Bouser Höhe in Hermann-Röchling-Höhe im Jahr 1956 ist nur vor dem Hintergrund des Referendums über das Saarstatut im Oktober 1955 erklärbar. „Pro-deutsche“ Protagonisten wie: Hubert Ney, Heinrich Schneider u. a. traten eine nationale Welle los, die Hermann Röchling wieder zur angesehenen Person in Völklingen machte. Die damals stärkste „Pro-deutsche“ Partei im Völklinger Stadtrat DPS (Vorläufer der FDP-Saar) unternahm den Vorstoß einen Stadtteil nach Hermann Röchling zu benennen. Am 13.8. 1956 beschloss der Stadtrat VK mit 29 (DPS, CVP, SPD) zu 2 Stimmen (KP) die Umbenennung der Bouser Höhe in Hermann-Röchling-Höhe.

Georg Jungfleisch beschäftigte sich erst seit etwa einem Jahr intensiv mit Hermann Röchling. Als Bewohner der Hermann-Röchling-Höhe und „Patenkind“ Hermann Röchlings (H. Röchling übernahm eine „Patenschaft“ für die ersten zehn auf der Bouser Höhe geborenen Neubürger) sieht Jungfleisch dringende Notwendigkeit für eine Namensänderung. Dr. Christoph Gottschalk, ebenfalls Einwohner der HR-Höhe, hat da weniger Diskussionsbedarf. Für ihn wiegt die Verurteilung Hermann Röchlings in einem Kriegsverbrecherprozess schwer genug, um sich guten Gewissens von dessen Namen zu trennen.
Günter Danninger (83) sah als Kind die vielen Zwangsarbeiter und deren unmenschliche Behandlung in den Röchling-Werken. Enttäuscht zeigte sich Danninger darüber, dass man nach der Kommunalwahl 2009 nicht versucht habe, die Namensproblematik auf die Tagesordnung des Stadtrates zu setzen, obwohl SPD und Linke über die Mehrheit verfügten.
Der kommissarische Linken-Chef Klaus Degen räumte ein, dass es einzelne Stimmen gegen eine Umbenennung auch in den Reihen der Linken gegeben hätte. Die erdrückende Mehrheit der Mitglieder sei aber dafür. Noch habe man sich mit einer Initiative zurückgehalten, weil hierbei die Stadtratsfraktion der SPD und Grüne mitziehen müssten. Entsprechende fraktionsübergreifende Gespräche kündigte Degen für Herbst an.

Der Stadthistoriker Hubert Kesternich hat nicht nur „Bauchweh“ mit dem Namen Hermann-Röchling-Höhe. Unter den rund 450 Straßen, Plätzen und Flurnamen Völklingens sieht er weit mehr bedenkliche „Erinnerungsorte“. Nur eine einzige Straße sei nach einem Opfer des NS-Regimes (Klausener Straße nach Erich Klausener im Stadtteil Heidstock) benannt, wobei umstritten ist, ob Klausener ([1885]-[1934]) tatsächlich ein Widerstandkämpfer war. Bekannt sind dafür im Widerstand aktive Völklingerinnen und Völklinger, ohne dass diese Eingang in Straßennamen gefunden hätten. Würdige Namensgeber sind nach Auffassung Kesternichs: Anton Engels, Anton Lorig, Albert Grimm, Philipp Kaufmann, Nikolaus Lonsdorfer, Heinrich Jacob u. a. Völklinger. Weitere Hintergrundinformationen zu Personen und Ereignissen liefere der „Wegweiser durch das andere Völklingen und den Warndt“ des 2009 verstorbenen Völklinger Historikers Dr. Luitwin Bies.
Die Familie Röchling, so Kesternich, habe jedenfalls über die Maßen Würdigungen erhalten. Neben der besagten Hermann-Röchling-Höhe benannte man gleich vier Straßen nach Röchlings: Richardstraße (nach Richard Röchling), Hermannstraße (nach Hermann Röchling) Karlstraße (nach Karl Röchling) und Louis-Röchling-Straße (nach Louis Röchling). Für Kesternich ein ungesunder Proporz.

In der sich anschließende Diskussion lenkte Salvador Oberhaus das Interesse auf weitere problematische Namensgeber für Straßen und Plätze: Militärs und Kolonialherren. Wie in Völklingen gäbe es beispielsweise in seiner Heimatstadt Wuppertal eine „Lettow-Vorbeck-Straße“.
Paul von Lettow-Vorbeck, [1870] im saarländischen [Saarlouis] geboren, repräsentierte das wilhelminische Militär- und Kolonialsystem, war „Deutschnationaler“, Rassist und - obgleich selbst nie Mitglied der NSDAP - „Nazi der ersten Stunde“.
Seit Beginn der zweitausender Jahre versuchten Initiativen eine Umbenennung zu erwirken. Erst Anfang 2010 gelang die längst überfällige Veränderung und stieß dabei auf breite Zustimmung. Oberhaus könne Völklingen nur den Rat geben, ähnlich wie die Stadt Wuppertal, einen Arbeitskreis zur Untersuchung „braunes Erbes“ ins Leben zu rufen und Vorschläge zu erarbeiten, wie mit diesem umgegangen werden soll. „Oder wollen wir weiterhin Rassisten und Nazis huldigen?“

Ergänzend hierzu verwies Prof. Hermann auf einen aktuellen Antrag im Siegener Stadtrat, die dortige Friedrich-Flick-Straße umzubenennen. Darin heißt es: „Wir wollen nicht, dass weiterhin [...] durch einen Straßennamen ein verurteilter Kriegsverbrecher geehrt wird".

In der letzten Diskussionsrunde ermunterte Moderator Lothar Schnitzler, Ideen zu entwickeln, wie es nun in Völklingen weitergehen soll. Patric Bies, Regionalmitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung erklärte sich bereit, im Herbst 2010 einen Entwurf für eine Informationsschrift vorzulegen, in der „geschichtshistorische Schwachstellen“ in Völklingen aufgezählt werden und dann diskutiert werden können.