|
|
Alternative Heimatbuch – Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz“
Das „Alternative Heimatbuch“ ist in über 10-jähriger Arbeit entstanden und wurde von Eberhard Wagner, einem Oberstudienrat im saarländischen Berufschulwesen, geschrieben. Es ist ein „Heimatbuch“, allerdings ein „Alternatives Heimatbuch“. Es befasst sich wie alle Heimatbücher auch mit „Heimat“. Während herkömmliche Heimatbücher sich mit Geschehnissen aus allen möglichen Jahrhunderten und Zeitperioden ihrer Dörfer und Regionen befassen, aber meist die Zeit des Nationalsozialismus außen vor lassen, befasst sich dieses „alternative Heimatbuch“ ausschließlich mit dem 1000-jährigen Reich, das im Saarland gerade einmal 10 Jahre Bestand hatte und in Deutschland eine geistige und materielle Totalzerstörung hinterließ. „Dies ist ein Buch“, so Professor Dr. Günter Morsch, Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte und Museum KZ Sachsenhausen, in seinem Vorwort, „das niemanden kalt lassen wird. Mit Betroffenheit und Entsetzen werden die einen reagieren, mit Zorn und Erbitterung die andern.“
Als im Jahre 1995, 50 Jahre nach Kriegsende, die nachträgliche namentliche Ehrung des ersten Marpinger Sozialdemokraten Alois Kunz, der als aktiver Hitler-Gegner 1942 im deutschen Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde, nur mit großer Mühe erreicht werden konnte, begann Wagner mit seinen Nachforschungen. Er wollte heraus finden und wissen, was zwischen 1932 und 1945 tatsächlich in Marpingen und im Kreis St. Wendel geschehen war. Heraus gekommen ist ein über 900 Seiten dickes Werk, das die leidvolle Geschichte der jüdischen Menschen im Kreis ebenso vor dem Vergessen bewahrt wie viele Einzelschicksale von Verfolgten und Gegnern des Nazi-Regimes.
In spannenden Worten beschreibt der Autor, wie es 1933 und 1934 im so genannten Abstimmungskampf dazu kam, dass sich am 13. Januar 1935 über 90 % der Saarländer(innen) für Hitler-Deutschland entschieden, obwohl sie zwei Jahre lang beobachten konnten und somit wussten, was im „Reich“ an Verbrechen geschah. Dabei wird auch die traurige Rolle, die die katholischen Kirchenoberen spielten, nicht verschwiegen. Wagner weist nach, dass die damaligen Saargebietsbewohner über alle Verbrechen, die bis zum Januar 1935 im Reich geschahen, bestens informiert waren, und sich dennoch in der Abstimmung für Hitler-Deutschland entschieden. Er zeigt auf, wie sich die bürgerlichen Parteien ohne Not und Zwang – im Saargebiet von damals hatte die NSDAP noch nicht die Staatsgewalt übernommen, sondern die vom Völkerbund eingesetzte Regierungskommission bestimmte die politischen Geschicke des Gebietes – freiwillig und selbst auflösten und wie auch viele Anhänger und Mitglieder der linken Parteien SPD und KP zur NSDAP und zur nationalsozialistischen Deutschen Front überliefen – wohlgemerkt schon lange vor dem Abstimmungstag. Er zeigt auf, wie die NSDAP-Ortsgruppen ab Frühjahr 1933 in den Dörfern wie Pilze aus dem Boden schossen und ihre Parteigenossen immer mehr die Kontrolle über das gesellschaftliche Leben in den Gemeinden übernahmen. Er beschreibt, wie die wenigen Hitler-Gegner, die bei der Abstimmung für den „Status quo“ stimmten, auf verlorenem Posten standen und nach dem Abstimmungstag um ihr Leben fürchten mussten. Diesen wenigen mutigen Männern und Frauen setzt der Autor durch ihre namentliche Erwähnung ein kleines Denkmal.
In dem Kapitel „Das verbrecherische Regime - 1935 bis 1945“ versucht Wagner den nationalsozialistischen Alltag auf dem Lande darzustellen, indem er Namen und Aktivitäten von NSDAP Parteigenossen und NSDAP Parteigliederungen nennt und beschreibt und allerlei Verbrechen an Hitler-Gegnern und jüdischen Menschen in den Dörfern des Kreises St. Wendel öffentlich macht. So wurde zum Beispiel Helene „Sara“ Schu aus Oberthal – den zusätzlichen Namen „Sara“ musste sie gezwungenermaßen tragen, damit man sie als Jüdin identifizieren konnte - noch 10 Tage bevor die amerikanischen Soldaten den Ort besetzten nach Theresienstadt deportiert, wo sie den Tod fand. Auch die Schicksale und Namen der „Zwangsarbeiter(innen)“ in der Amtsbürgermeisterei Alsweiler sowie die „Arisierung“ des jüdischen Eigentums in der Kreisstadt St. Wendel werden erstmalig dokumentiert. In der Kreisstadt existierte ein blühendes jüdisches Wirtschaftsleben, das aber nach dem Abstimmungstag schlagartig verschwand. Die jüdischen Unternehmer mussten ihr Eigentum zwangsweise und weit unter Wert an „arische“ Erwerber verkaufen. In einem Kapitel am Schluss des Buches zeigt der Autor auf, welche ehemaligen NSDAP-PGs nach 1955 (Saar-Referendum) wieder oder trotzdem „Karriere“ auf kommunaler Ebene machen konnten oder sogar Ehrenbürger wurden. Die kaum zu glaubende Geschichte über die nachträgliche Ehrung des Auschwitz-Opfers Alois Kunz im Jahre 1995 schließt das "Alternative Heimatbuch" ab. Dadurch belegt dieses Buch, so Professor Herbert Jochum, Vorsitzender der Jüdisch-christlichen Arbeitsgemeinschaft Saar in seinem Geleit, „auch auf eindringliche Weise die verlogenen Mythen, die nach 1945 im Umgang mit der Geschichte zur eigenen Entschuldigung erfunden wurden.“
Titel: Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz – ein alternatives Heimatbuch
Verlag: Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert, September 2008
ISBN: 978-3-86110-446-9
Preis 48,00 €, 905 Seiten, gebunden
|