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Dr. Werner Sauerborn (links) und Michael Quetting, Vorsitzender der Peter-Imandt-Gesellschaft

Die Verhältnisse tanzen

Gewerkschaften in der Krise – neue Antworten erforderlich?

Die Gewerkschaften sind in der Defensive – aber zugleich das Wichtigste, was jetzt für die Menschen gebraucht wird. Das ist eine Kernthese des Gewerkschafts-Linken Werner Sauerborn.

Um aus der Defensive herauszukommen, müssten Gewerkschaften neue Antworten auf die Folgen von Globalisierung und neoliberaler Meinungsführerschaft entwickeln, forderte Werner Sauerborn bei einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung/Peter Imandt-Gesellschaft in Saarbrücken. Dabei sind die Rückkehr zu einer Arbeitszeitpolitik ebenso wie die Forderung nach politischen Streiks in Deutschland zentrale Forderungen.

Die Krise der Gewerkschaft habe Mitte der achtziger Jahre begonnen, analysiert Werner Sauerborn, Gewerkschaftssekretär im Grundsatzreferat von ver.di in Baden-Württemberg. Die »Zeitenwende« hat nach seiner Überzeugung mit der »globalisierten, finanzmarktgesteuerten Ökonomie« und dem damit verbundenen Abschied vom »Rheinischen Kapitalismus« begonnen. Der globalisierte Kapitalismus habe zu »Entgrenzung und Beschleunigung« geführt – zu immer neuen Konkurrenzsituationen nicht nur der Unternehmen untereinander, sondern auch innerhalb der Unternehmen und damit letztlich auch der Arbeitnehmer untereinander. Im öffentlichen Sektor hätten die Arbeitgeber den Druck auf die Beschäftigten mit Hinweis auf privatisierte Konkurrenten ausgespielt. Damit seien »Streiks untertunnelt und in ihrer Wirksamkeit stark geschwächt« worden. Letztlich habe der globalisierte Kapitalismus damit »die Verhältnisse zum Tanzen gebracht«. Ein Grundprinzip gewerkschaftlicher Arbeit, nämlich die »ökonomische Solidarität« der Beschäftigten, sei auseinandergebrochen. Dass die Tarifbindung in Flächentarifverträgen immer drastischer abnehme, ist für Sauerborn logische Folge dieser Entwicklung.

Schlüssige Antworten hätten die Gewerkschaften bislang nicht. Vielmehr hätten sie dem Druck nachgegeben und sich von der Arbeitszeitpolitik verabschiedet. Für Sauerborn ein strategischer Fehler. Lehre des Neoliberalismus sei, dass Verzicht die Wettbewerbsfähigkeit stärke, beispielsweise durch längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich. In konkreten Situationen sei dies für Kollegen zwar der »letzte Strohhalm gewesen«, letztlich habe damit aber der Neoliberalismus »triumphiert«.

Dennoch hält es Sauerborn nicht für aussichtslos, dass Gewerkschaften die neue Konkurrenz der Arbeitnehmer wieder »in den Griff« bekommen. Dazu sei eine Verlagerung auf eine andere Ebene erforderlich. So könnten sich etwa die Einzelgewerkschaften im Transportbereich auf europäischer Ebene zusammenschließen. Außerdem müssten Arbeitskampfformen entwickelt werden, bei denen Kunden und Öffentlichkeit in die Arbeitskämpfe mit einbezogen werden. Tarifrunden nur über Verhandlungen zu führen, werde »in der Regel nicht mehr gelingen«.

Das in vielen europäischen Ländern existierende politische Streikrecht hält Sauerborn für zwingend geboten. Rente mit 67, Hartz IV oder Gesundheitsreform beträfen schließlich alle Gruppen der Gesellschaft. Der Verzicht auf politische Streiks sei ein Zugeständnis der Gewerkschaften an die Sozialpartnerschaft des »Rheinischen Kapitalismus« in den frühen 1950er Jahren gewesen. Wenn der durch den globalisierten Kapitalismus überholt sei, könne das damalige Zugeständnis auch nicht mehr gelten.

Autor: Oliver Hilt für Neues Deutschland 14-6-2010