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Aktuelle Weisheiten von einst

Pressebericht: Mime Rolf Becker hat Marx und Engels in Blieskastel gelesen

Quelle: Saarbrücker Zeitung vom Montag, 11. August 2008


Der Schauspieler Rolf Becker las gestern in Blieskastel aus dem Kommunistischen Manifest.
Nicht wenige im Publikum hatten selbst ein vergilbtes Exemplar der Schrift in der Hand. Eine gute
Lesung vor einem dankbaren Publikum, das sich auskannte.

Von SZ-Redaktionsmitglied Johannes Kloth

Blieskastel. Am Freitag hatte Ministerpräsident Peter Müller in einem SZ-Interview im Hinblick auf die Linkspartei darauf verwiesen, dass diese Teile des Kommunistischen Manifests in ihr Programm aufnehmen wolle. Was Müller damit meinte: Eine Partei, die sich auf eine 160 Jahre alte antikapitalistische Streitschrift beruft, ist im 21. Jahrhundert nicht mehr wählbar. Gestern morgen nun las einer aus eben jenem Manifest, der von seiner Profession her mit Politik wenig am Hut hat: Schauspieler Rolf Becker (Foto: SZ), Vater von Ben und Meret Becker und selbst ein bekanntes TV-Gesicht, trug auf Einladung der saarländischen Peter-Imandt-Gesellschaft in der Blieskasteler Orangerie aus dem Werk von Marx und Engels vor. Auch wem die Thesen dieses Gründungstextes des Marxismus nicht ganz fremd sind, kann immer wieder staunen, wie präzise Marx die Prinzipien eines ungebremsten Kapitalismus mitsamt der Negativ-Auswirkungen beschrieben hat.

Der geübte Vorleser Becker führte sie einem dankbaren Publikum aus überwiegend graumelierten Alt-68ern mit vergilbten Manifest-Ausgaben in der Hand noch einmal gerne vor Augen. Die proletarische Revolution, die der gebürtige Trierer Marx seinerzeit vorhergesagt hatte, fand bekanntlich nie statt. Vielmehr kam es mit der Bildung von Gewerkschaften und der Etablierung sozialer Sicherungssysteme zu dem, was wir heute als soziale Marktwirtschaft kennen und schätzen gelernt haben. Insofern tat Becker gut daran, seine "positiv-kritische" Haltung zu dem Gegenstand seiner Lesung vorab zu betonen. Und doch hatte die Veranstaltung etwas von einem Klassentreffen alter Veteranen: Raunen an den berühmten Stellen, hier und da heftiges Kopfnicken bei den Passagen zur Ausbeutung der Arbeiter durch die Bourgeoisie. Vermutlich hätte ein universitärer Rahmen dem Marx-Crashkurs mehr Verve verliehen. Und vielleicht die Chance geboten, jungen Menschen zu zeigen, warum es sich noch lohnt, Marx zu lesen, und vielleicht eine anschließende kontroverse Diskussion zwischen alt und jung. Stattdessen wurde mit "Gaumenfreuden aus dem Bliesgau" nach der Lesung ein Zeichen gegen die vermeintliche linke Genussfeindlichkeit gesetzt. In Umkehrung von Bertolt Brecht: Zuerst die Moral und dann das Fressen. Ist es nicht gut, dass wir uns diese Reihenfolge leisten können?