Archiv 2003





Das Ermächtigungsgesetz

21. März 2003: Vor 70 Jahren beschloss der Reichstag faktisch seine Auflösung, in dem er dem Ermächtigungsgesetz zustimmte. Damit fiel eine der letzten demokratischen Bastionen in Deutschland. Hitlers Weg in die Militarisierung und Krieg begann. Was sagte dieses Gesetz? Wer stimmte damals mit “Ja”? Wie war das gesellschaftliche Kräfteverhältnis? Was sind die historischen Lehren?

Heute fordern die Konservativen immer unverhüllter die Entrechtung der Gewerkschaften, betreiben – wie das Beispiel Italien zeigt – die zunehmende Gleichschaltung der Medien. Gleichzeitig trägt die Außenpolitik immer aggressivere Züge. Scheinbar widerstandslos verkümmert die demokratische Gesellschaft, wofür vor 70 Jahren noch ein Ermächtigungsgesetz nötig war...

Über historische und aktuelle Bezüge diskutieren: Dr. Luitwin Bies (Historiker), Horst Bernard (Vorsitzender VVN/BdA Saarland) und Michael Quetting (Verdi).



Dokumentiert – Der Wortlaut des Ermächtigungsgesetzes:

Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (Ermächtigungsgesetz) vom 23.3.1933

1. Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Dies gilt auch für die in den Artikeln 85 II und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze.

2. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.

3. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft. Die Artikel 68 bis 77 der Reichsverfassung finden auf die von der  Reichsregierung beschlossenen Gesetze keine Anwendung.

4. Verträge des Reiches mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der  Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen für die Dauer der Geltung dieser Gesetze nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften. Die Reichsregierung erläßt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen  Vorschriften.

5. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft, es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird.

Reichsgesetzblatt T. I. (1933), Nr. 25, S. 141



Dokumentiert:
Die Rede des Abgeordneten Wels (SPD).

Das Wort hat der Abgeordnete Wels:

Wels (SPD), Abgeordneter: Meine Damen und Herren! ... Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. (Lebhafter Beifall der Sozialdemokraten)

Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, daß sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. Die Wahlen vom 5. März haben den Regierungsparteien die Mehrheit gebracht und damit die Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung zu regieren. Wo diese Möglichkeit besteht, besteht auch die Pflicht. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten)

Kritik ist heilsam und notwendig. Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheit durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten)

und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. Eine solche Allmacht der Regierung muß sich um so schwerer auswirken, als auch die Presse jeder Bewegungsfreiheit entbehrt ...

Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. Sie selbst haben sich ja zum Sozialismus bekannt. Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen. Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reiche. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht (Lachen bei den Nationalsozialisten - Bravo! bei den Sozialdemokraten)

verbürgen eine hellere Zukunft. (Wiederholter lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten - Lachen bei den Nationalsozialisten)

Quelle: Auszug aus dem Protokoll des Rechstages vom 23. März 1933, Seite 32 ff., Volltext)